Absage an Hitler

Linolschnitt entstanden im Pariser Exil, 1938

Absage eines deutschen Künstlers an Hitler
Einer, der in der braunen Presse nicht gelobt werden will.


Ein junger deutscher Künstler, Heinz Kiwitz, übergibt der Öffentlichkeit folgende Feststellungen:


Die Berliner Kunstausstellung im Haus der Kunst am Königsplatz wurde von der NSDAP und dem "Reichsbeauftragten für künstlerische Formgebung", Schweitzer- Mjölnir, als richtungsgebend hingestellt.

Ohne dass man mich befragte oder meine Einwilligung einholte, wurden dort auch Holzschnitte von mir ausgestellt. Ein Teil der gleichgeschalteten Berliner Presse widmete mir großen Raum in der "Kunstbetrachtung", die ja jetzt befehlsmäßig an Stellte der Kritik getreten ist. Man stellt mich als einen der wichtigsten Künstler des "neuen Deutschland" hin.

Dazu sei festgestellt: Ich bin im Januar 1937 aus Deutschland emigriert. Ich wünsche nicht, anerkannt zu werden von jenen die heute in Deutschland regieren, die die Kunst in Kasernen sperren und von Kommisstiefeln zurechttreten lassen. In mir bäumt sich alles auf gegen den gewaltsamen Missbrauch der Kunst, der mit schönen, heiteren und heroischen Bildchen die Fratze des Krieges verdecken soll.

Wenn die faschistischen Zeitungen gezwungenermaßen zugeben müssen, dass ich ein volksnaher Künstler bin, so ist auch das nicht als Lob für mich, sondern als das Eingeständnis der Pleite der Göbbels'schen Kunstfabrikation zu werten. Denn ich selbst lehne bewusst und seit jeher jene undeutsche Kunstvernichtung ab, die den echten Künstler hetzt und außer Landes jagt, jeden Anstreicher für ein Genie erklärt, wenn er nur lange genug das Parteibuch in der Tasche hat und vor den Diktatoren Kotau macht. Gerade gegen diese Vergewaltigung von oben ist als Protest jene wahrhaft große deutsche Kunst entstanden von Riemenschneider über Schillers Don Carlos zu Lehmbruck und Barlach. Mein Volksempfinden macht mich den Nolde und Barlach zugehörig, gegen die das "Schwarze Korps" eine brutale Hetze führt, deren Werke aus den Galerien entfernt und deren Ausstellungen von der Gestapo geschlossen wurden, weil sie unbeirrbar jene Tradition fortführen, der Albrecht Dürer und Matthias Grünewald den Weg wiesen.

An der Wiege der deutschen Kunst stand ein Bildhauer, Tilmann Riemenschneider, dessen Herz mit den gejagten rebellierenden Bauern schlug, der dafür von den reichen Tyrannen so schändlich gefoltert wurde, dass er bis zum Ende seines Lebens den Meissel nicht mehr führen konnte.

Wilhelm Lehmbruck war ein deutscher Künstler, der als Sozialist 1914 den gleichen Militaristen den Kriegsdienst verweigerte, die heute der freien Kunst den totalen Krieg erklärt haben.

Guernica, Konzentrationslager und Krieg gegen die Religion - was hat deutsche Kunst mit diesem Totentanz der menschlichen Kultur anders zu schaffen, als dass sie die Geissel schwingt gegen diesen Gewaltmarsch in die Barbarei? In ihrer Parteikartothek suchen sie verzweifelt nach einem kleinen Talent und können es nicht finden. Sie sind bereit, jeden Preis zu bezahlen, glauben allen Ernstes Genies können sie für Geld kaufen, wie sie sich Villen und Autos anschaffen. Wahre Kunst wächst aus Lebensbejahung, Menschenliebe und fruchtbarer Entfaltung. Die Kunst geht immer gegen die Tyrannei und mit der Freiheit. Tod, Hass und Mangel sind die negativen Grundwerte des Faschismus. Sie haben das Führerprinzip proklamiert und die Gedankenfreiheit ausgerottet, das Volk erklären sie als unmündig rechtslose "Gefolgschaft", tributpflichtiger Masse.

Die deutsche Kunst aber wächst aus dem Volke, mit dem Volke, für das Volk, und gegen den Zwang, die laienhafte Willkür und die Diktatoren. Der echte Künstler will nur anerkannt werden von dem Deutschland, das die größten deutschen Künstler ersehnen, dem Deutschland einer wahren demokratischen Volksrepublik. Denn das bedeutet für uns Gedankenfreiheit, Schaffensfreiheit, Kunstfreiheit.

Heinz Kiwitz

(Heinz Kiwitz, in: Pariser Tageszeitung, 2.Jg., 27.8.1937, Nr.440)

Anmerkung: Die Holzschnitte von Kiwitz wurden entgegen seiner Annahme nicht in Berlin, sondern in München im Haus der Kunst ausgestellt.

 

Zeitungsausschnitt, Pariser Tageszeitung, 2.Jg., 27.8.1937, Nr.440